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Wie ich meine Höhenangst in den Griff bekam

Da mir immer wieder die Frage gestellt wird, wie ich meine Höhenangst (=Akrophobie) in den Griff bekommen habe und das nicht mit wenigen Worten zu beantworten ist, könnt ihr hier die gesamte Story lesen 🙂 :

[Mittlerweile habe ich auch ein Video über dieses Thema hochgeladen: "HÖHENANGST - Abhilfe & Geheimtipp!" ]


Ein folgenreicher Ausflug...

Es sollte ein entspannter Familienausflug werden, doch als ich oben auf der Aussichtsplattform der Schrammsteine (Sächsische Schweiz) stand, konnte zumindest bei mir von Entspannung keine Rede sein.

Auf den Schrammsteinen

Auf den Schrammsteinen

Anstatt die Aussicht genießen zu können, verkrampfte ich beim Blick in die Tiefe völlig und wurde zur Salzsäule. Eine eiserne Faust umklammerte meinen Brustkorb, Panik erfasste mich. Die vielen Menschen, die außer mir hier waren - zwar würde mich wohl keiner absichtlich in den Abgrund stoßen, aber es könnte ja auch versehentlich passieren! Ich konnte mich schließlich nicht rühren und daher weder ausweichen noch reagieren oder "Achtung, hier stehe ich!" sagen. Mit jeder Sekunde wurde ich unsicherer, mir wurde schwindelig, ich hatte das Gefühl, auch ohne Fremdverschulden gleich umzufallen und über das Geländer zu stürzen. Bestimmt würde mich die 
nächste leichte Brise aus dem Gleichgewicht bringen und mich einfach vom Felsen wehen! Daran würde auch das Geländer nichts ändern, das könnte schließlich wegbrechen oder ich darunter durchrutschen. Die Krönung bildeten herumtobende Kinder, die auf der Plattform umherrannten, als gäbe es den Abgrund gar nicht. Das führte bei mir erst recht zur völligen Blockade. Kalter Schweiß stand mir auf der Stirn, es ging gar nichts mehr.

Genau so erging es mir vor vielen Jahren bei einem Urlaub in der Sächsischen Schweiz. Mit großer Höhe kam ich zwar noch nie gut klar, doch an diesem Tag brannten bei mir wirklich alle Sicherungen durch. Nur mit großer Mühe und viel Zeit gelang es mir damals, die Situation wieder in den Griff zu bekommen und abzusteigen. Im Nachhinein wurde mir dann klar, dass ich etwas gegen meine Höhenangst unternehmen musste. Was wäre gewesen, wenn z.B. meine eigenen Kinder dort herumgetobt wären und aus welchen Gründen auch immer Hilfe benötigt hätten? Ich hätte ihnen - und auch keinem anderen - helfen können!


Erster Schritt: Das scheinbar Unmögliche wagen

Zunächst geriet mein guter Vorsatz wieder etwas in Vergessenheit, zumal ich vergleichbare Situationen vermied und zudem ziemlich ratlos war, was ich gegen die Angst tun sollte. Erst viele Monate später bekam ich durch das Geocaching (=moderne Schnitzeljagd mit GPS-Gerät) die zündende Idee, denn dabei gibt es u.a. sog. "T5"-Caches, das sind Verstecke, die man i.d.R. nur erreicht, wenn man davor klettert oder sich irgendwo abseilt. Beim Wort "Abseilen" dachte ich an "Seil", dabei an "Seilklettern"... klettern, gesichert mit Seil - könnte das vielleicht ein Weg sein, sich an die Höhe zu gewöhnen? Schließlich fiel mir die kleine Kletterhalle vom DAV gleich bei mir um die Ecke ein. Das erscheint sehr naheliegend, damals war der Klettersport aber bei weitem noch nicht so populär wie heute, es gab kaum Kletterhallen (und noch gar keine Boulderhallen) und die meisten Leute dachten, das ist nur etwas für Vollprofis, aber bestimmt nicht für Normalos.

Extrem aufgeregt und verunsichert betrat ich wenige Tage später die Kletterhalle mit dem Ziel, dort einen Kletterkurs zu absolvieren und damit aktiv gegen meine Höhenangst vorzugehen. Ohne es zu wissen, ging ich damit den Weg, den die Psychologie "Exposition" nennt - mit anderen Worten, man stellt sich seiner Angst. Glücklicherweise erwies sich das "Klettervölkchen" als überaus freundlich und ich fand dort auch gleich einen Seilpartner, der ebenfalls mit dem Klettern starten und besagten Kurs machen wollte.

Der Anfang war überaus hart, schließlich bekam ich schon ab ca. 3m Höhe das große Fracksausen und alles krampfte sich zusammen. Nur mit extrem starken Willen kämpfte ich mich mühsam Stück für Stück nach oben, während mein Verstand mir selbst ununterbrochen einhämmerte, dass durch die Seilsicherung doch gar nichts passieren könne. Wenn eure Höhenangst ebenso schlimm ist wie meine, dann braucht ihr eine enorme Leidensfähigkeit, wenn nicht sogar Todesmut, so fühlte es sich jedenfalls trotz Sicherung an. Doch mit jedem Aufstieg gewann ich ein kleines bisschen Sicherheit und Vertrauen, nicht zuletzt auch in mich selbst und meine Fähigkeiten.

Was mir sehr geholfen hat:
- mein extrem starker Wille (ohne den geht es nicht)
- freundschaftliche/kameradschaftliche Atmosphäre in der Kletterhalle
- professionelle Betreuung durch den DAV-Kursleiter
- für eine Kletterhalle nicht allzu hohe Wände (11m)
- zunehmendes Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten
- mein zuverlässiger Seilpartner

Ohne die Leistung des Kursleiters schmälern zu wollen (er hat es sehr gut gemacht!), doch die entscheidenden Punkte waren ein starker Wille und mein Seilpartner. Wir fanden schnell einen Draht zueinander, sparten bei unseren ersten hilflosen Kletterversuchen nicht mit spöttischen Kommentaren 😁 und nahmen so auch den Druck heraus. Gleichzeitig sicherten wir uns äußerst zuverlässig, sodass ich im Laufe der Zeit immer mehr das Gefühl von Sicherheit verspürte; ich konnte langsam Vertrauen zu Mensch (=Seilpartner) und Material (=Seil, Gurt, usw.) aufbauen. Zwar verspürte ich nach wie vor mit jedem Meter nach oben die anziehenden Schraubzwingen um meinen Körper, zeitgleich wuchs aber auch das Vertrauen in die Sicherung - und überwog schließlich die Angst.

Die "Krönung" war schließlich das Sturztraining: Wir mussten ganz hoch klettern und uns dann mehrmals - mit immer größerem Spiel im Seil - abspringen, uns also herunterfallen lassen. Bereits der erste Sprung mit einer nur sehr kurzen Fallstrecke war die Hölle und dürfte dem Gefühl eines Bungee-Sprunges sehr nahe kommen. Immerhin lässt man freiwillig los und springt in die Tiefe. Bei den letzten Versuchen war dann soviel Spiel im Seil, dass wir inklusive der Seildehnung (Kletterseile sind sehr elastisch) mehr als 5 Meter fielen, bevor die Abwärtsbewegung endgültig gestoppt war. Spätestens seit diesem Zeitpunkt hat mein Körper verstanden, dass das Seil mich rettet und ich nichts zu befürchten habe. Wobei es bis heute ein scheußliches Gefühl ist, so weit zu fallen.

Mein Seilpartner und ich fanden Spaß an der Kletterei und setzten unser Training auch nach dem Kurs fort, oft in der Halle, aber auch draußen am Fels. Mit der Zeit nahmen unsere technischen und physischen Fähigkeiten zu, was zu größerem Selbstvertrauen und damit auch zur Verringerung der Höhenangst führte. Es macht psychisch einen Riesenunterschied, wenn man weiß, dass man sich mit nur einer Hand locker irgendwo festhalten kann - während man es davor selbst mit beiden Händen nicht geschafft hat! Die ganz krasse Höhenangst wich schließlich einem großen Respekt mit gelegentlichen, äußerst mulmigen Gefühlen. Aber eben keine komplette Starre mehr.


Zweiter Schritt: Die Gedenkminute

Wie ich oben schon erwähnt habe, ist die Höhenangst mittlerweile einem großen Respekt gewichen, der ja auch einen gewissen Sinn macht. Man muss die Angst als gut gemeinte Warnung des Körpers verstehen und nicht als Feind. Doch das ist natürlich leichter gesagt als getan! So gibt es für mich auch heute noch Situationen, bei denen ich abrupt stehenbleibe, weil nichts mehr geht, beispielsweise wenn ich ganz unverhofft vor einem sehr steilen Abgrund stehe.

Im Gegensatz zu früher bleibe ich inzwischen aber wenigstens noch handlungsfähig, d.h. ich kann noch klar denken und mich zumindest vorsichtig und langsam bewegen. Das ermöglicht es mir, einen hilfreichen Trick anzuwenden, den ich zufällig herausgefunden habe, ich nenne ihn "die Gedenkminute". 

Dazu gehe ich erst einmal langsam ein paar Schritte zurück, bis ich (für meine Begriffe) wieder sicheren Boden unter den Füßen habe, d.h. wo ich nicht direkt absturzgefährdet bin. Dort setze ich mich dann so hin, dass ich nicht abrutschen kann. Alternativ bleibe ich manchmal auch stehen, wenn ich etwas bombensicheres zum Festhalten habe, z.B. das Stahlseil eines Klettersteigs, einen Baum, o.ä. Anschließend warte ich etwa eine Minute ab und entspanne mich dabei. Mir persönlich hilft es, die Augen nicht zu schließen, sondern lieber Richtung Horizont zu sehen. In die Tiefe zu schauen ist meistens nicht so ratsam, kann aber auch helfen, sich daran zu gewöhnen. Ich mache das einfach nach Bauchgefühl.

Nach der besagten Gedenkminute tritt bei mir eine Art Gewöhnung ein, die Angst weicht dem Respekt und ich kann weitergehen - selbst über die steilsten Grate. Dieser Effekt hält meistens sogar den ganzen Tag an. Allein das Wissen um diesen Trick hat dazu geführt, dass ich immer seltener Probleme mit Höhenangst habe, denn ich weiß ja, wie ich ihr begegnen kann. Ich habe keine Angst vor der Angst mehr.


Fazit:

Natürlich funktioniert die sog. "Exposition" und meine "Gedenkminute" nicht bei jedem, und ihr braucht einen eisernen Willen (gerade am Anfang) und Durchhaltevermögen, denn von heute auf morgen geht es leider nicht. Auch bei mir hat es einige Jahre gedauert. Die Freiheit, die ich dadurch gewonnen habe, war aber jede Mühe und jeden Tropfen Angstschweiß wert. Ich drücke euch die Daumen, dass ihr es auch schafft!




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